Repertorium für den homöopathischen Praktiker von Henri Voisin, Rezension

Repertorium für den homöopathischen Praktiker / Henri Voisin

Henri Voisin

Repertorium für den homöopathischen Praktiker   

Klinische Indikationen in alphabetischer Reihenfolge mit Differentialdiagnose der Mittel

   
Saskia von Sanden
von Saskia von Sanden

Pragmatisch, praxisnah und kritisch

In der modernen Eventkultur wäre Henri Voisin (1896-1975) vollkommen deplatziert. Er mied den Rummel, große Kongresse, war eher ein leiser, sozial und politisch engagierter Arzt, lebte seit 1937 in der kleinen, idyllischen Stadt Annecy und war Vater von zehn Kindern. Als er 1930 durch Zufall bei einem Patienten eine erstaunliche Heilung durch ein homöopathisches Mittel beobachtete, begann er sich intensiv mit der Homöopathie zu beschäftigen. Er wurde bald zu einem wichtigen Vertreter der französischen Homöopathie und begründete die École d'Annecy, an der ungefähr 100 Homöopathen ausgebildet wurden.

1960 erschien im Haug-Verlag sein Buch „Die vernünftige kritische Anwendung der Homöopathie. Eine wohldurchdachte Anleitung für den Praktiker“ in deutscher Übersetzung. Der Titel ist Programm seines Denkens und Handelns. 1969 folgte ebenfalls im Haug-Verlag die „Materia Medica für den homöopathischen Praktiker“. Die Bücher waren auch in Deutschland erfolgreich und erschienen in  ehreren Auflagen. Heute kann man sie nur noch antiquarisch erwerben. Nun hat der Narayana-Verlag das „Repertorium für den homöopathischen Praktiker“ erneut in deutscher Sprache herausgebracht, Jahrzehnte nach der deutschen, im Selbstverlag erschienenen Übersetzung von Peter Stockebrand. Das ist spät, aber dennoch verdienstvoll.

Reicher Schatz der „seltenen“ Mittel
Das Repertorium besticht durch seine klare, alphabetische Gliederung, die gut durchdachten Querverweise zum Auffinden der Symptome unter dem richtigen Stichwort und vor allem durch die kritische  Haltung dem eigenen Handeln gegenüber. Mit wenigen Worten zeigt Voisin auch Grenzen der Homöopathie auf und verweist sachkundig auf konkrete Therapiemöglichkeiten der Schulmedizin; der Homöopathie misst er in diesen Fällen einen „adjuvanten“ Status zu. Auch bei sog. bewährten Mitteln merkt er wiederholt an, dass er mit diesen seit Jahrzehnten durch die Repertorien fortgeschriebenen oder vielleicht auch nur abgeschriebenen Mitteln enttäuschende Ergebnisse erzielt habe. Er ist also stets kritisch, begnügt sich nicht mit dem Kopieren oder der vorsichtigen Ergänzung des Bekannten, sondern beschreibt einen reichen Schatz kleiner, häufig in Vergessenheit geratener Mittel. Das sind wahre Fundgruben, die nur eine Einschränkung haben: Stichproben im Internet zeigen, dass einige Mittel in Deutschland zwar gelistet, aber nicht vorrätig und erst nach Rücksprache mit dem Hersteller lieferbar sind. Einige seltene Mittel können nur über eine internationale, homöopathische Apotheke in England oder Österreich bezogen werden.

Ein heute in Buchform erscheinendes Repertorium muss sich immer auch mit den digitalen Möglichkeiten einer Computerrepertorisation messen lassen können. Brauche ich, wenn ich über ein  umfangreiches Repertorisationprogramm auf dem Computer verfüge, überhaupt noch ein solch verdichtetes Repertorium? Ja. Vielleicht mehr denn je. Denn wo uns das digitale Repertorium dutzende Vorschläge ausspuckt, schreibt Voisin sein auf jahrzehntelanger Erfahrung beruhendes, kondensiertes Wissen auf – nämlich wenige bewährte Mittel. Überdies ist es während einer Kurzanamnese oft hilfreich, unter dem Symptom des Patienten nachzuschlagen und die Differenzierungen und Modalitäten, die Voisin anbietet, gleich mit abzufragen, um dem Patienten bei der oft schwierigen und stockenden Beschreibung seiner Symptome zu helfen. So finden sich etwa unter dem Eintrag Hallux valgus nur wenige Zeilen:
„Man kann den Schmerz an der Innenseite des Köpfchens des ersten Metatarsalknochens mit Paeon. D1 als lokale Anwendung und per os beruhigen: Agar. C5-6 (Schmerz < Kälte), Arn. C5-6 (Schmerz < Berührung), Hecla.C4, Paeon.C4-5 (Schmerz <Reiben der Schuhe) oder STICT. C5-6 (Bursitis).“1 Dieser Blick ins Repertorium mit gleichzeitigem Eingrenzen kostet nur wenige Minuten.

Übersichtlich, knapp, praxisnah
Freilich muss man mit diesem Repertorium den Umgang erst üben und sich auf die Gliederung einlassen. Durch die knappe Darstellung und alphabetische Gliederung finden sich auf einer einzigen Seite die Stichwörter Hitzewallung, Hochmut, gefolgt vom Hordeolum, der Hornhautentzündung und den Hühneraugen. Doch häufige Beratungsanlässe wie Diarrhöe, Husten, Juckreiz oder Zystitis, bei denen
mehrere Mittel infrage kommen, werden übersichtlich mit den jeweiligen Modalitäten und Besonderheiten in Tabellenform dargestellt. Insgesamt ist das Repertorium ein Buch, das kritisch, pragmatisch und praxisnah ist, mit dem man gut arbeiten kann. Inhalt und Ausstattung rechtfertigen den Preis von 118 €.

 
Dieses Produkt ist zur Zeit nicht lieferbar.
Hier finden Sie andere Bücher dieses Autors und über ähnliche Themen.

 

Rezensionen zu diesem Buch
Henri Voisin
Pragmatisch, praxisnah und kritisch
von Saskia von Sanden
Henri Voisin
Wertvolle Fundgrube für die klinische Homöpathie
von Thomas P. Peplowski , erschienen in Zeitschrift "Der Heilpraktiker" September 2015