Jürgen Hansel ¦
DIVERSE MITTEL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
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PALLIATIV
suchen wir dagegen idealerweise nach einem Simillimum bzw.
nach dem sogenannten Konstitutionsmittel.
Flexible Handhabung:
In der Praxis lässt sich allerdings selten
eine klare Grenze zwischen kurativer und palliativer Krankheits-
phase ziehen. Die Übergänge sind eher fließend – und so gibt
es häufig Situationen, in denen noch versucht wird, kurativ oder
zumindest lebensverlängernd zu behandeln, während gleich-
zeitig schon palliativ behandelt wird, um die Lebensqualität zu
verbessern. Für das Ziel der Lebensverlängerung durch Chemo-
oder Strahlentherapie wird ja meist eine erhebliche Belastung
des Organismus in Kauf genommen mit Nebenwirkungen, die
flankierende palliative Maßnahmen erforderlich machen. Und in
der Homöopathie können wir durchaus auch in der palliativen
Phase noch mit gut gewählten Konstitutionsmitteln arbeiten.
In der Palliativmedizin ist man mittlerweile von der strengen
Abgrenzung der Phasen aus der alten WHO-Definition wieder
abgekommen und orientiert sich sehr flexibel an der aktuellen
Krankheitssituation.
Auch in der Homöopathie erfordert die Begleitung schwerstkran-
ker Menschen in der Nähe des Todes einen flexiblen Umgang
mit den Regeln der Heilkunst. Selbst klassische Homöopathen
werden sich in solchen Situationen nicht immer auf die Gabe
eines einzelnen Mittels beschränken. In der symptomatischen
Behandlung werden manchmal verschiedene Mittel für unter-
schiedliche Beschwerden gleichzeitig gegeben und es ist dabei
auch kein Tabu, ein ganzheitliches Simile mit symptomatischen
Mitteln zur Linderung lokaler Beschwerden zu kombinieren.
In vielen Fällen wird die Homöopathie zusätzlich zur konventi-
onellen Palliativmedizin in den Bereichen eingesetzt, in denen
letztere wenig anzubieten hat. Das gilt vor allem für den eigent-
lichen Ansatzpunkt der Homöopathie: die Stärkung der Lebens-
kraft und die damit verbundene Verbesserung der körperlichen
und seelischen Lebensqualität. Dieser Wirkungsbereich steht
auch im Mittelpunkt des folgenden Fallbeispiels, bei dem die
homöopathische Therapie in den letzten Lebenswochen in enger
Abstimmung mit dem örtlichen SAPV-Team erfolgte.
FALLBEISPIEL: 63-jährige Patientin mit stenosierendem
Rectum-Carcinom und Metastasierung in
Leber, Lungen und Pleura.
Im April wird bei der Patientin im Rahmen der Resektion des
tiefsitzenden Dickdarmkrebses ein künstlicher Darmausgang
angelegt, ein Teil des von Metastasen befallenen Rippenfells ent-
fernt und Teile des Pleuraspaltes mit Talkum verödet. Vor dieser
Operation trat in beiden Beinen eine tiefe Venenthrombose auf
und zum Schutz vor einer Lungenembolie wurde deshalb ein
Filter in die untere Hohlvene eingebracht. Schließlich hat man
vor Beginn einer adiuvanten Chemotherapie im Juni noch ein
venöses Portsystem implantiert. Nach den ersten Infusionen hat
die Patientin die Chemotherapie allerdings wegen der Neben-
wirkungen abgebrochen. Im Juli wird eine Knochenmetastase
im Oberschenkel diagnostiziert.
Erstanamese (gekürzt) am 27. Juli:
Die Patientin sagt: „Die
Krankheit hat sich schon ein Jahr lang abgezeichnet. Ich habe
es ignoriert.“Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose hat
sie 6 kg an Gewicht abgenommen. „Ich habe schon immer
Probleme mit dem Darm“. Zunächst wechselte Verstopfung
mit plötzlichen schwallartigen Entleerungen. Dann hatte sie
überwiegend Durchfälle, schließlich bis zu zehnmal am Tag,
begleitet von Bauchkrämpfen.
Bei einem Arztbesuch wegen eines Rezeptes fiel auf, dass sie
immer wieder hustete. Erst durch dieses Symptom kam die Di-
agnostik in Gang. Eine Verschattung der Lunge auf dem Rönt-
genbild zog weitere Untersuchungen nach sich und führte
schließlich zur Krebsdiagnose.
Auf Nachfrage spricht sie von ihrer Aversion gegen Ärzte: „Man
ist ihnen so ausgeliefert.“ Sie hat Angst vor jeder Verletzung,
selbst vor kleinen Schürfwunden. „Ich bin Sozialarbeiterin und